Motorik
Die für das Sprechen relevanten Systeme
Das Nervensystem läßt sich in drei große Bereiche gliedern:
- motorisches System
- Steuerung der Willkürbewegungen und Anpassung der Muskelaktivitäten an Umweltbedingungen;
- sensorisches System
- Weiterleitung von Impulsen der Sinnesorgane zu höheren zerebralen Zentren; Bewußtmachung und Verarbeitung von Wahrnehmungen;
- vegetatives System
- Koordination und Anpassung der Tätigkeit der inneren Organe an die Bedürfnisse des Gesamtorganismus;
Das motorische System besteht aus einem spinalen Teil, verantwortlich für die Reflexe, und einem supraspinalen Teil, der die gesamte restliche Motorik steuert (spinal = das Rückenmark/ die Wirbelsäule betreffend).
Das supraspinale motorische System
Eine grobe funktionale Gliederung des supraspinalen Systems:
- Handlungsantrieb
- Ausgehend von kortikal und subkortikal lokalisierten Motivationsarealen (z.B. Teile des Frontalhirns, limbisches System).
- Bewegungsplan
- Der Handlungsantrieb wird im assoziativen Kortex in einen Bewegungsplan umgesetzt.
- Bewegungsprogramm
- Aus dem Plan entsteht ein detailliertes Programm durch das Zusammenwirken von supplementär-motorischem Kortex, Basalganglien und Kleinhirn.
- Aktivierung
- Ausgehend vom primär motorischen Kortex werden Steuersignale direkt oder nach Modifikationen im Hirnstamm denjenigen spinalen Neuronen zugeleitet, die mit den beteiligten Muskeln verschaltet sind.
Außerdem bestehen div. Rückkopplungsschleifen und auf allen Ebenen Verbindungen zum sensorischen System.
Das supraspinale motorische System läßt sich weiter untergliedern in ein pyramidales System und ein extrapyramidales System. Die frühere Zuordnung der Willkürmotorik zum pyramidalen System und der unbewußten Muskelaktivität zum extrapyramidalen System ist nach heutiger Kenntnis jedoch überholt: beide Systeme sind funktional sehr eng verknüpft.
Pyramidal-motorisches System
Das pyramidale System bezeichnet die direkte Verbindung des motorischen Kortex mit den Neuronen des entsprechenden Segments im Rückenmark. Es besteht aus ca. 1 Million Axonen, die ohne Unterbrechung bis ins Rückenmark verlaufen und z.T. über 1 m lang sind.
Die Bahnen ziehen durch die Capsula interna und die Pons bis in die Medulla oblongata, wo die meisten auf die kontralaterale Seite kreuzen und als Tractus corticospinalis lateralis (Seitenstrang) in der Wirbelsäule abwärts laufen. Diejenigen Bahnen, die nicht auf der Höhe des Stammhirns kreuzen, bilden den Tractus corticospinalis anterior (Vorderstrang); die meisten davon kreuzen auf der segmentalen Ebene.
Die Axone der Pyramidenbahn enden z.T. direkt an den sog. alpha-Motoneuronen, die ohne weitere Zwischenstation mit den entsprechenden Muskelfasern verbunden sind. Meistens läuft die Verbindung jedoch über sog. Zwischenneurone, die in den Wirbelsäulensegmenten den alpha-Motoneuronen benachbart liegen.
Extrapyramidal-motorisches System
Das extrapyramidale System ist ein indirektes System; die Vermittlung zwischen Großhirn und alpha-Motoneuronen läuft über viele Zwischenstationen, d.h. synaptische Verbindungen zwischen Neuronen in verschiedenen Kernen des Gehirns. Insbesondere sind dies die Kerne der Basalganglien und die mit diesen stark assoziierten Kerne (Striatum, d.h. Nucleus caudatus und Putamen, Pallidum, Substantia nigra, Nucleus subthalamicus). Die Verschaltung der Basalganglien folgt dem unten beschriebenen Schema.
Das Striatum erhält afferente Impulse von assoziativem Kortex, motorischem Kortex, Thalamus und Substantia nigra. Die efferenten Impulse des Striatums wirken - über die Freisetzung des überwiegend hemmenden Neurotransmitter GABA - auf das Pallidum und die Substantia nigra. Von dort bestehen, über die Zwischenstation Thalamus, Verbindungen zum Kortex. Man kann also von einer Schleife sprechen, ausgehend von der Hirnrinde, über das Striatum zu Pallidum und Substantia nigra und weiter über den Thalamus zurück zum Kortex, in das supplementär-motorische und das primär motorische Areal.
Außerdem ziehen von der Substantia nigra und vom Pallidum ausgehende hemmende Efferenzen zu motorischen Kernen im Hirnstamm, die ebenfalls in das extrapyramidale System involviert sind.
Das Kleinhirn, der zweite wichtige Schaltkreis, ist den Basalganglien parallelgeschaltet. Neben Efferenzen und Afferenzen in und aus verschiedenen Teilen des Nervensystems, die der Kontrolle des Gleichgewichtes dienen, erhält das Kleinhirn sowohl sensorische Informationen aus der Muskulatur als auch 'Kopien' der motorischen Programme aus dem Kortex. Diese Informationen werden verglichen und eventuell auftretende Fehler werden über efferente Verbindungen zu den motorischen Stammhirnkernen bzw. zu den kortikalen motorischen Zentren korrigiert. Außerdem ist das Kleinhirn auch schon an der Planung und Programmierung von Bewegungen beteiligt, es erhält Informationen aus dem assoziativen Kortex (vermittelt über Kerne in der Pons), die es nach der Verarbeitung über den Thalamus zurück zu den kortikalen motorischen Zentren schickt.
Störungen
Folgende Begriffe dienen der klinischen Beschreibung von Störungen des motorischen Systems infolge neurologischer Erkrankungen (cf. Thews, Mutschler, Vaupel 1989):
- Muskelhypotonus
- herabgesetzter Muskeltonus, zurückzuführen auf verminderte neurale Aktivierung
- Hypertonus
- Zustand erhöhter Muskelspannung; man unterscheidet Rigor und Spastik
- Areflexie
- Ausfall von Eigenreflexen
- Hyperreflexie
- erhöhte Reflexerregbarkeit
- Akinese/Hypokinese
- Bewegungsarmut (bis zur Bewegungslosigkeit), zielgerichtete Bewegungen stark verlangsamt
- Hyperkinese
- unwillkürliche, von normalen motorischen Aktionen abweichende und die Willkürmotorik störende Bewegungen; man unterscheidet Choreatische Bewegungen (Veitstanz), Hemiballismus und Athetose
- Rigor
- gesteigerte Grundspannung der Skelettmuskulatur mit Steifigkeit bzw. Starre bei passiven Bewegungen; gleichmäßiger, 'wächserner'/'teigiger', nicht federnder Widerstand bei passiven Bewegungen (oft mit Zahnradphänomen: ruckartiges Nachgeben einer passiv bewegten Gliedmaße)
- Tremor
- rhythmisch alternierende Kontraktionen antagonistischer Muskeln (Zittern); man unterscheidet Ruhetremor und Intentionstremor
- Asynergie
- Störung komplexer Bewegungen, insbesondere der zeitlichen Koordination verschiedener Muskelgruppen
- Dysmetrie
- Bewegungen werden zu kurz oder über das Ziel hinausschießend ausgeführt